Statement der Übersetzerin Alexandra Rak zu "Fliegen oder fallen" von Missy Marston

Oliver Dietze
© Oliver Dietze
Oliver Dietze
© Oliver Dietze

Die Übersetzerin von Missy Marstons Fliegen oder fallen, Alexandra Rak, äußert sich in einem Statement zum Roman.

Als ich Fliegen oder fallen zum ersten Mal gelesen habe, war ich sofort begeistert.

Das Setting: Dieser kleine, entwurzelte Ort Preston Mills in Kanada in den 1970er Jahren mit seinem spröden Charme.

Die Figuren: Claire, Trudy und Mercy. Drei Generationen an Frauen, die unter einem Dach leben. Drei Generationen, die ihre Träume und Sehnsüchte haben. Naiv und beharrlich, nüchtern und doch romantisch, unbestechlich offen und verletzlich. Natürlich gibt es da auch noch die Fremden. Jules, der "verrückte Kandadier", der mit einem Raketenauto über den Sankt-Lorenz-Strom springen will und in den Trudy sich verliebt. Darren, der frühere Liebhaber und zum Phantom gewordene Vater von Trudy und deren Schwester Tammy und Claires große Liebe, der auf einmal wieder auftaucht. Und die zur Fremde gewordene Tammy, die der Kleinstadt entfliehen wollte und mit dem ihr ergebenen Freund Fenton auf tragische Wiese für immer zurückkehrt.

Die Erzählweise: Lakonisch, poetisch, verkürzt, ausschweifend, multiperspektivisch und immer mitreißend.

Ach ja, eigentlich sollte ich ja auch die Frage nach der Lieblingsstelle beantworten. Wahrscheinlich könnte ich den Roman an fast jeder beliebiger Stelle aufschlagen. Also lasse ich den Zufall entscheiden.

Okay, ich bin auf Seite 116, 117 gelandet:

"So, meine Liebe. Ich denke, du bist sauber genug." Trudy hielt ihren Zigarettenstummel unter den Wasserhahn des Waschbeckens, warf ihn in den Abfalleimer und spülte die Asche in den Abfluss. "Nein, Trudy! Noch nicht!" "Ich muss zur Arbeit, Mercy." Trudy fasste in die Wanne und drehte Mercys kleine Hände nach oben. "Schau, deine Hände sehen schon wie Backpflaumen aus!" "Tun sie nicht!" Taten sie nicht. Aber so war das Leben. Trudy musste zur Arbeit. Sie zog den Stöpsel, und Mercy schrie: "Neiiiiin!" Trudy hielt ihr ein Handtuch hin, und Mercy machte niedergeschlagen einen Schritt in die Arme ihrer Tante und legte den Kopf auf deren Schulter. "Ich hab dich lieb, Trudy, aber du bist gemein." "Ich weiß, du Gauner. Ich habe dich auch lieb. Zeit zum Schlafengehen."

Was mich daran so fasziniert? In der scheinbar kleinen Alltagszene verwebt Marston die Wünsche und Zwänge ihrer Protagonistinnen und zeigt aber auch die tief empfundene Zuneigung der beiden. Und mal ehrlich, mussten wir alle nicht früher mit dem Argument aus der Badewanne, dass die Finger zu schrumpelig sind?

Eine besondere Herausforderung bei der Übersetzung von Fliegen oder fallen lag in der Multiperspektive. Die Geschichte beginnt zwar mit Trudy, was sie zur Hauptprotagonistin macht, aber es gibt noch die Perspektive ihrer Mutter, ihrer Nichte, ihres Vaters, ihres Freundes und ihrer Schwester und deren Freund. Das bedeutet jeweils andere Gefühlswelten, Sichtweisen, Stimmen, die schon nach wenigen Kapitel wechseln. Da heißt es, äußerst konzentriert zu arbeiten, damit die Tonalität auch immer der des Originals entspricht.

Tammys Freund Fenton beispielweise hat eine ganz besondere Sicht auf die Welt. Als Leserin erfahre ich nie, ob er sich kaputtgekifft hat oder an einem Gehirntumor leidet, vielleicht ja auch beides. Jedenfalls erlebt er seine Umgebung oft vollkommen anders. Um das als Übersetzerin nachzuempfinden und in seiner Schönheit zu transportieren, musste ich mich von Gewissheiten der Betrachtung, des Sehens gänzlich befreien.

Missy Marston

Fliegen oder fallen

Ihre Mutter und ihre Schwester haben mit 17 ihr erstes Kind bekommen. Als auch Trudy früh schwanger wird, beschließt sie, abzutreiben. Das Leben in der kanadischen Kleinstadt in den Siebzigern hat ihr bisher nicht viel zu bieten. Aber es muss doch noch etwas anderes geben, als frühe Mutterschaft, abwesende Männer und harte Arbeit. Wo bleibt das Abenteuer, das Glück?

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Missy Marston

Fliegen oder fallen

Das Kleinstadtleben in Kanada in den 70ern hat Trudy bisher nicht viel zu bieten. Aber es muss doch noch etwas anderes geben, als frühe Mutterschaft, abwesende Männer und harte Arbeit. Wo bleibt das Abenteuer, das Glück?

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