Im Interview mit Yasmin Polat zu ihrem Debütroman "Im Prinzip ist alles okay"

Karim Taha
Karim Taha

Dem Roman Im Prinzip ist alles okay von Yasmin Polat gelingt es, mit ironisch-humorvollem Ton die Emanzipation einer jungen Mutter von familiär erlernten, destruktiven Mustern zu erzählen und ihren Weg in die Selbstbestimmtheit aufzuzeigen. Lesen Sie im Folgenden unser Interview mit der Autorin.

Als Journalistin hast du unter anderem Reportagen und Artikel für den Tagesspiegel, Zeit Campus, watson.de und die taz geschrieben. Im Prinzip ist alles okay ist dein erster Roman. Inwiefern unterscheidet sich für dich journalistisches vom belletristischen Schreiben?

Journalistisches und belletristisches Schreiben sind für mich zwei ganz unterschiedliche Dinge. Ich kannte bisher nur das journalistische Schreiben. Auch, wenn ich in letzter Zeit viele Essays geschrieben habe, ist es natürlich so, dass man bei einem journalistischen Text viel schneller zum Punkt kommt, während es im Roman vielleicht viele verschiedene Punkte gibt, zu denen man hin will. Es braucht für einen Roman auch eine sehr viel längere Aufmerksamkeitsspanne. Ein journalistisches Stück ist, wenn es nicht gerade eine tiefe intensive Investigativrecherche ist, schneller abgegeben. Ich habe mir schon immer gewünscht, einen Roman zu schreiben, mir das aber nie zugetraut, weshalb ich sehr froh bin, dass ich das jetzt machen konnte. Ich fand auch das Schreiben an sich viel freier, assoziativer. Es hat mir richtig gut getan, belletristisch zu schreiben.

Wie viel Yasmin Polat steckt in Im Prinzip ist alles okay? Inwiefern haben deine eigenen Erfahrungen dein Schreiben beeinflusst?

Ich glaube, man kommt als Autor*in gar nicht drum herum, dass dort authentische Anteile von einem selbst mit einfließen. Irgendwoher muss es ja kommen, zumindest ist das meine Erfahrung. Das ist auch bei meinem Buch so: Bei Im Prinzip ist alles okay gibt es sehr viele authentische Anteile. Alles ist als Thema in meinem Leben vorgekommen, fast nichts ist so passiert.

Das Buch behandelt verschiedene aktuelle Themen, zum Beispiel Gewalterfahrung innerhalb der Familie, postnatale Depression, Generationentraumata und Mutterschaft. Würdest du sagen, dass eines dieser Themen das Hauptthema des Buches ist?

Ich denke, das Hauptthema ist Generationentraumata und wie diese unser aller Leben beeinflussen. Das zieht sich auch durch die anderen Themen: Postnatale Depression, Mutterschaft, Gewalterfahrung innerhalb der Familie. Generationentraumata sind überall mit dabei. Generationstraumata bestimmen auch alle Figuren, die im Roman vorkommen: Miryams Eltern, die Berufswahl (das sieht man z.B. an Miryams Bruder Deniz), die Psyche, die Partnerschaft, ihre Freund*innen. Alle haben ihre eigenen Traumata. Und Miryam hat den Anspruch, ihre Traumata nicht an ihr Kind weiterzugeben. Im Prinzip ist alles okay: Miryam ist eine Mutter, die sich ihrer Geschichte bewusst ist, die eine Therapie gemacht hat und die alles dafür tut, es besser als ihre Eltern zu machen. Das ist für sie lebensnotwendig. Und diese Notwendigkeit, es besser zu machen, bloß nicht wie ihre Eltern zu werden (was legitim ist, weil es bei ihr um Gewalt geht), lässt sie immer mehr die Verbindung zu allem verlieren. Sie hat Parameter, an denen sie abliest, wann sie als Mutter "richtig" ist und wann falsch. (Meistens fühlt sie sich falsch.) Und sie ist irgendwann verloren in ihrem Drang, der teils total richtig und wichtig ist und sich teils aber auch mit ungesundem Perfektionismus vermischt. Wie kann sie also wissen, wann sie es als Mutter richtig macht? Und im Roman geht es um so Fragen wie: Was bedeutet es, wenn man alles besser machen will, aber dann eventuell doch scheitert? Was meint Scheitern in dem Kontext überhaupt? Wie ordnet man das ein, wenn die Gewalt, die einem angetan wurde, auch in einem selbst wabert? Wie ordnet man dann seine eigenen Kindheitstraumata ein? Muss man der Herkunftsfamilie bzw. Täter*innen vergeben, um glücklich zu werden? Wie kann man vergeben, wenn das Gegenüber nicht einmal gesprächsbereit ist? Wo geht man dann hin mit seinen Traumata, wo legt man die ab? Muss man sich selbst lieben, um geliebt zu werden? Es geht also auch um Verurteilungen, Erwartungshaltungen, Narzissmus, Gewalt, Selbstliebe und Grenzen ziehen, allen (eigenen und gesellschaftlichen) Ansprüchen zum Trotz. Ob Miryam am Ende gescheitert ist oder nicht, überlasse ich den Leser*innen.

Im Prinzip ist alles okay für die Protagonistin Miryam, aber eigentlich ist gar nicht alles okay. Warum ist es auch heute noch so schwer, über Depressionen und psychische Erkrankungen in der Öffentlichkeit zu sprechen?

Es ist ja schon schwer, mit sich selbst darüber zu sprechen. Ich denke, das ist nicht verwunderlich und an sich ist die letzten Jahre wirklich viel passiert, es gibt so viele Menschen, die daran arbeiten, dass die Tabus gebrochen werden. Trotzdem bleiben psychische Erkrankungen eben Themen, die unschön sind. Damit will niemand etwas zu tun haben. Erst recht nicht, wenn man ein Kind bekommen hat. Da hat man eben Verantwortung für jemand anderes, man hat nonstop glücklich und gesund zu sein – und da wird’s dann nochmal schwierig in der Beurteilung.

Das Leben der Protagonistin Miryam fügt sich durch den achronistischen Schreibstil erst nach und nach zu einem Gesamtbild zusammen. Hast du dich aus einem bestimmten Grund gegen eine chronologische Erzählweise entschieden?

Ja, ich fand es wichtig, die Protagonistin als Leser*in selbst mit jeder Seite mehr kennenzulernen. Wir sehen jeden Tag Menschen auf der Straße, auf Social Media, im Supermarkt, wo auch immer – und wir wissen nicht, was diese Menschen erlebt haben, was sie ausmacht. Jeder Mensch hat sein Päckchen zu tragen, sagt man ja auch. Und ich fand den Gedanken spannend, Miryam Seite für Seite kennenzulernen, ihre Handlungen, Gedanken und Worte erst nach und nach wie ein Puzzle in sich zusammenzufügen. Ähnlich, wie wenn wir im echten Leben einen Menschen Stück für Stück kennenlernen. Außerdem gibt es so viele emotionale Überlappungen, die einen beim Lesen manchmal zurücklassen sollen mit der Frage: "Moment: Sind wir gerade in der Vergangenheit oder in der Gegenwart?" Denn genau so fühlen sich Traumata an: Man weiß oft nicht, was aus der Vergangenheit und was aus dem Jetzt ist. Heilung (sofern man sie als solche bezeichnen kann) ist auch nicht linear. Unter anderem deswegen sind die Rückblenden durch das Buch hinweg zeitlich immer enger an der Gegenwart dran, wie eine Spirale. Für das Schreiben an sich war das übrigens gar nicht mal so unanstrengend, ich glaube für die Lektor*innen auch :) Aber am Ende hat es hingehauen, mit viel an den Fingern abzählen. Hoffe ich!

Miryam erfährt bereits in jungen Jahren sowohl Gewalt innerhalb der Herkunftsfamilie als auch in der Partnerschaft. Wie wirkt es sich auf ein Kind aus, wenn ausgerechnet die Menschen, die ihm Schutz und Geborgenheit geben sollten, Gewalt ausüben?

Das kann ich so leider nicht ausreichend beantworten, da ich keine Psychologin bin. Es gibt da viele Auswirkungen in verschiedensten, unschönen Facetten. Was ich von mir aus sagen kann ist, dass das Vertrauen in die Welt und in sich selbst meist flöten geht. Und es möglicherweise eine lebenslange Aufgabe ist, dieses Vertrauen, auch Selbstvertrauen in die eigenen Grenzen, irgendwie aufzubauen. Das sehen wir auch an Miryam.

Miryam ist viel in sozialen Netzwerken wie Instagram unterwegs, um sich Tipps und Anregungen zum Muttersein zu holen. Würdest du sagen, dass Mütter heute unsicherer sind als früher?

Vielleicht sind wir nicht unsicherer als früher. Ich bin mir sicher, dass die Mütter früher auch unsicher waren. Ich glaube aber, dass sich z.B. die Boomer-Eltern größtenteils nicht so viele Gedanken gemacht haben wie wir heute, weil es dafür auch keinen Platz gab. Ich denke, dass die erst einmal damit beschäftigt waren, die ganzen Verletzungen ihrer Eltern in irgendeiner Weise abzufedern und es dann für die nächste Generation, also für uns Kinder, besser zu machen. Das heißt, jeder Mensch macht wahrscheinlich seinen kleinen Schritt in dem Rahmen, in dem er stattfinden kann, um es für die nächste Generation besser zu machen aber es reicht eben oft nicht. Heute wissen wir, was in der Kindheit schiefgelaufen ist. Wir können es benennen, wir können es richtig machen, weswegen es auch noch einmal schlimmer ist, wenn dann ein Scheitern stattfindet oder man feststellt, dass man es jetzt doch nicht hinbekommen hat, obwohl man es doch besser weiß, obwohl man es doch besser machen wollte. Das kann teilweise schlimmer wehtun als wenn man gar nicht den Anspruch hatte, alles richtig zu machen.

Denkst du, der Druck auf junge Mütter, überglücklich zu sein und am besten alles perfekt zu machen, ist durch Social Media noch mal gestiegen?

Nein, ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Es kommt natürlich immer darauf an, in welcher Bubble man sich bewegt. Miryam ist ja ganz offensichtlich in der falschen und zu der Zeit, in der wir im Roman sind, gab es noch nicht so viele ehrliche Eltern-Accounts. Und klar, jetzt ist es nochmal verworrener, weil wir jetzt das Wissen haben. Wir haben vielleicht Therapien gemacht, und wenn man dann trotzdem scheitert, ist die Enttäuschung in sich bestimmt umso höher. Aber der Druck, glücklich zu sein, war damals – vor Social Media – definitiv höher. Ich glaube, meine Mutter hätte nicht mal ein Quäntchen von dem, vor sich selbst zugeben dürfen, worüber heute ganz offen in Instagram-Posts gesprochen wird. Der Druck kommt meiner Meinung nach von woanders und ist ein Stück weit nicht zu vermeiden. Es ist ja auch nur natürlich, dass wir alle gute Eltern sein wollen. Aber gut bedeutet eben nicht perfekt. Und wenn man dabei auch noch Generationstraumata versucht, zu durchbrechen, ist das eine Aufgabe, an der man zerbrechen kann.