Von einem Aufbruch ins Unbekannte: "Brooklyn"-Sprecherin Katja Danowski im Interview
Der preisgekrönte Autor Colm Tóibín beschreibt in Brooklyn eindrucksvoll das klassische Schicksal einer Emigration, den Werdegang einer ganz normalen Frau von der Schwelle von Tradition zu Emanzipation, ganz und gar aus ihrer Perspektive gesehen. Das Hörbuch Brooklyn erscheint am 15. Mai 2024 als digital only bei GOYALiT und wird gefühlvoll von Katja Danowski interpretiert. Was ihr besonders an der Protagonistin Eilis Lacey gefällt und welchen Teil der Geschichte sie besonders eindrücklich fand, hat sie im Interview erzählt.
Was waren deine ersten Gedanken, als du den Text gelesen hast?
Wenn ich so einen Text bekomme, dann lese ich den ja von Anfang an beruflich. Ich kriege zuerst immer einen kleinen Schock, wenn das so ein riesengroßer Papierstapel ist, und ich frage mich, wie ich das in meinem Leben bewältigen soll (lacht)! Und dann habe ich eine Zeit lang gebraucht, zu verstehen, wie diese komplexen, sehr langen Sätze funktionieren. Man kann sie nicht einfach so weglesen, sondern man muss sich in jedem Satz ganz genau überlegen, wie der Bogen ist. Und dann die ganzen irischen und englischen Ausdrücke. Diese ganzen Sachen unter einen Hut zu bekommen, sodass es dann eine stringente, gelungene Erzählung gibt – das war mein erster Gedanke, als ich den Text bekommen habe.
Wie würdest du den Charakter der Protagonistin Eilis Lacey beschreiben? Gibt es etwas, was dir besonders gut an ihr gefällt?
Eilis ist eine junge Frau in den 50er-Jahren, die eigentlich gar keine eigene Stimme hat, wenn wir sie kennenlernen. Es ist ganz toll, wie sie im Laufe der Geschichte lernt, sich durchzusetzen, auf die Welt zu blicken und ihre Stimme zu erheben. Diese etwas unterwürfige Art, die sie zu Beginn hat und die sie in ihrer Kindheit gelernt hat, legt sie langsam ab und lernt, sich dennoch durchzuboxen durch ihr schwieriges Leben allein in der Fremde. Diese Entwicklung hat mir sehr gut gefallen.
Welche Herausforderungen ergaben sich bei der stimmlichen Umsetzung dieser sich wandelnden Persönlichkeit?
Also, die stimmliche Umsetzung, sagen wir mal: Am Anfang, wenn man sie kennenlernt, ist sie eigentlich eine sehr zurückhaltende Persönlichkeit, die eher leise ist, kein Selbstbewusstsein hat und sich ständig unterordnet. Und auf dem ganzen Weg von Irland nach Amerika und durch ihr Berufs- und Liebesleben findet sie immer mehr Momente, in denen sie innehält und versteht, wer sie eigentlich sein könnte, wer sie ist, und dass sie an der Stelle jetzt etwas anders machen oder etwas anders sagen könnte, als sie bisher getan hat und so langsam zu einer Art Emanzipation und Selbstbewusstsein findet. Diese Entwicklung stimmlich einzufangen war eine Herausforderung.
Gibt es eine Stelle in der Geschichte, die dir besonders in Erinnerung geblieben ist, und wenn ja, welche ist es und was macht diese Stelle so eindrücklich?
Sehr in Erinnerung geblieben ist mir, dass ich es unglaublich finde, dass man früher, als junge Frau Anfang 20, einfach irgendwo hingeschickt werden konnte, ohne dass man das selbst entscheiden durfte. Die Mutter, die Schwester und der Pfarrer entscheiden zusammen, dass Eilis jetzt ihr Heimatland verlässt, eine Weltreise auf sich nimmt, in einem völlig unbekannten Ort ein neues Leben beginnt, wissend, dass sie eventuell nie wieder zurückkehren wird. Dieser ganze Abschnitt, wie Eilis dann versucht, sich das schön zu reden und eigentlich ihre ganze Angst verdrängen muss, das ist schon sehr beeindruckend. Und dass sie es dann wirklich schafft, diesen Weg zu gehen und in Amerika dieses Leben zu führen, dass sie eigentlich gar nicht führen wollte, das ist sehr besonders. Sehr traurig ist es gleichzeitig auch.
Die Fortsetzung von Brooklyn, Long Island, erscheint am 15. Mai 2024 als digital only bei GOYALiT. Mit atemberaubender Intensität und psychologischer Klarsicht erzählt Colm Tóibín von erster Liebe und zweiten Chancen zwischen alter Heimat und neuem Leben.
