"Als wir an Wunder glaubten": Warum es in der Nachkriegszeit plötzlich wieder Hexenverfolgungen gab

Etwas Unvorhergesehenes passiert. Etwas, was sich nicht so einfach erklären lässt. Manche sind sich sicher: Da müssen Hexen am Werk gewesen sein. Was klingt, als sei es vor mehreren Jahrhunderten geschehen, ist noch nicht allzu lang her: Noch in den 1950er Jahren gab es Gerichtsverhandlungen, die sich mit Hexerei befassten. Aus heutiger Sicht mag es absurd klingen, damals war es vollkommen ernst gemeint. Als wir an Wunder glaubten von Helga Bürster, als Hörbuch bei GOYALiT erschienen, erzählt von diesem wenig bekannten Kapitel deutscher Nachkriegsgeschichte.

In der Frühen Neuzeit, also von Ende des 15. Jahrhunderts bis Ende des 18. Jahrhunderts, fielen nach Angaben der Datenbank Hamburger Frauenbiografien zwischen 50.000 und 60.000 Menschen in Europa der Hexenverfolgung zum Opfer – die meisten von ihnen waren Frauen. Wer verdächtigt wurde, zaubern zu können beziehungsweise mit dem Teufel im Bunde zu stehen, hatte praktisch keine Chance mehr: Die Beschuldigten wurden durch Folter zu Geständnissen gezwungen und anschließend grausam hingerichtet. Die Kirche und die herrschende Monarchie arbeiteten dabei oftmals eng zusammen. Hexerei wurde als Gotteslästerung angesehen.

Auch in den 1950er Jahren gab es in Deutschland noch – beziehungsweise wieder – Hexenprozesse. Helga Bürster schildert in ihrem Roman eindrücklich die damalige gesellschaftliche Stimmung, die den Aberglauben wieder aufkommen ließ. In der Nachkriegszeit waren die vermeintlichen Hexen allerdings nicht mehr angeklagt; vielmehr wehrten sie sich: Die als Hexen diffamierten Frauen zogen vor Gericht. Angeklagt wurden dann die Personen, die die Frauen verunglimpft hatten. Auch Menschen, die durch dubiose Maßnahmen die vermeintliche Zauberei zu unterbinden versucht hatten, mussten sich vor Gericht verantworten. Sogenannte "Hexenbanner", "weise Frauen" oder "Spökenkieker" zogen durch das Land, boten ihre Dienste an und nahmen ihren Kund*innen oft viel Geld dafür ab. 70 Gerichtsverfahren, die sich um vermeintliche Hexerei drehten, gab es allein im Jahr 1950 in Deutschland, vermeldete das Magazin Der Spiegel damals, wie es in einem Radiofeature des Deutschlandfunks heißt.

Das Magazin Der Spiegel berichtete im Jahr 1951 umfangreich über einen "Hexenprozess" am Landgericht Lüneburg. An dem Gericht liefen um diese Zeit viele solcher Verfahren – allein 1950 gab es 15 Prozesse. 1951 musste sich Hannes Bading vor Gericht verantworten. Der Landwirt vermutete mehrere "Hexen und Hexeriche" unter seinen Nachbarn. Mehrere Jungen wollte er beim "Giftpusten" aus deren Aborthäuschen beobachtet haben; der Posthalter sollte angeblich Badings Tieren etwas ins Maul gespritzt haben. Wie er darauf kam, dass Hexen am Werk waren? Eine "weise Frau", die er um Rat fragte, sollte es ihm gesagt haben. Hannes Bading meinte, durchgreifen zu müssen: Einen der Jungen schlug er mit einem Stock, dem Posthalter zertrümmerte er eine Schaufel auf dem Kopf – und schließlich landete er vor Gericht. Er wurde zu einer Geldstrafe von 300 Mark verurteilt, wie das Hamburger Abendblatt damals berichtete.

Helga Bürster

Als wir an Wunder glaubten

Deutschland Ende der 1940er Jahre: Der Krieg ist endlich vorbei - doch in dem kleinen Ort Unnenmoor haben die Menschen kaum in ihr Leben zurückgefunden. Als die elfjährige Betty Abels eines Nachts verschwindet und ihr Freund Willi grün und blau geschlagen im Ort auftaucht, gibt es nur eine Erklärung: Da sind Hexen am Werk.

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Der NDR berichtete 1955 über einen ähnlichen Prozess, so der Deutschlandfunk, der das Thema 2012 in einem Beitrag aufgriff. Angeklagt war in diesem Fall aber ein Mann aus Schleswig-Holstein, der angeblich vom Bösen besessene Kinder besprochen hatte. Zur Last gelegt wurden ihm fahrlässige Körperverletzung, Verleumdung, Betrug sowie Vergehen gegen das Heilpraktikergesetz. Es mutet aus heutiger Sicht seltsam an, wie der Angeklagte und sein Verteidiger die Vorwürfe zurückzuweisen versuchten: Der Beschuldigte meinte, es gebe "viele, viele hochgestellte Persönlichkeiten", die "tausend Mal" schlimmere "Volksbetrüger" seien. So heißt es in einem Beitrag des Deutschlandfunks zu dem Fall. Auch dass zugelassen werde, dass Kindern in der Schule vom Teufel und von Hexen erzählt werde, hielt der Angeklagte offenbar für verwerflicher als seine eigenen Taten. Sein Verteidiger brachte vor, die Erwachsenen, die diesen "Humbug" glaubten und den Mann beauftragt hatten, ihre Kinder zu besprechen, seien selbst schuld. Auch hätten bestimmte "Stellen" für die notwendige Aufklärung der Bevölkerung sorgen müssen.

Überliefert ist auch ein Prozess, der 1956 am Amtsgericht Trittau stattfand. Angeklagt war eine selbsternannte Heilerin wegen "unerlaubter Ausübung des Heilgewerbes in sieben Fällen", wie die Lübecker Nachrichten berichten. Am Ende musste sie eine Geldstrafe in Höhe von 35 Mark zahlen. Sie hatte als "weise Frau" Krankheiten durch Besprechen geheilt – zumindest behaupteten das Zeug*innen, bei denen die Heilung angeblich funktioniert hat. Die Frau hatte außerdem einen Mann als Hexer bezichtigt. Um ihn von seiner Zauberkraft zu "heilen", verschrieb sie ihm Kräutertees – diese hatten jedoch gar keine besondere Wirkung. Die Staatsanwaltschaft sah die Geldstrafe, zu der die Frau verurteilt wurde, als zu gering an und legte Berufung ein. Ob es noch zum Berufungsverfahren kam, ist allerdings nicht dokumentiert.

In der Frühen Neuzeit wurden Heilerinnen, Frauen mit Kenntnissen über Heilkräuter und auch Hebammen der Hexerei bezichtigt und verfolgt. Kräuterkunde galt zwar nicht per se als schlecht, sollte aber Geistlichen vorbehalten sein. In den 1950er Jahren traf die Hexenverfolgung diejenigen, die aus verschiedenen Gründen Neid und Missgunst auf sich zogen – etwa weil eine Frau die einzige war, deren Ehemann aus dem Krieg zurückgekehrt war, oder weil sie erfolgreich ihren Besitz retten konnte. Ob schwere Erkrankung, plötzlicher Todesfall oder Probleme in der Familie – es wurden Sündenböcke gesucht. Und es waren dann oft die Frauen, die als Hexen bezichtigt wurden.

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